Frauenpower in Tunesien – die DJ Academy for Girls und Les Dunes Electroniques
Elektromusik ist auch in Tunesien ein Thema: Beim Besuch der Les Dunes Electroniques Festivals in der Sahara beeindrucken die DJs der DJ Academy for Girls.
Les Dunes Electroniques
Die Wüste bebt. 500 Kilometer südwestlich von Tunis, in einem Ort namens Ong el-Jemel, außerhalb der kleinen Oasenstadt Nefta am Rande der Sahara, hopsen junge Tunesierinnen und Tunesier durch den Wüstensand, tanzen zu Elektro-Beats, die aus gewaltigen Lautsprecherboxen wummern und von stakkatohaften Lichtblitzen aus riesigen Scheinwerfern begleitet werden. “Star Wars”-Fans ist Ong el-Jemel als „Mos Espa“ auf dem Wüstenplaneten Tatooine bekannt. Wo 1976 Anakin Skywalker für George Lucas vor der Kamera stand, findet jetzt das Spektakel „Les Dunes Electroniques“ statt, ein Festival der Elektro-Musik mit mehr als 30 internationalen und tunesischen DJs, die hier irgendwo im Nirgendwo 40 Kilometer vor der algerischen Grenze Techno- und House-Music auflegen und für Partystimmung im Land der Dattelpalmen und Kaktusfeigen sorgen.
Die Bässe der Soundanlagen bohren sich nicht nur in die Gehörgänge, sie hämmern förmlich durch die Körper der Tanzwütigen, werden fühlbar, lassen Magengruben beben und Sixpacks erzittern, versetzen einige der überwiegend tunesischen, aber auch aus Frankreich angereisten 5000 Festivalbesucher in einen tranceartigen Zustand, der sie auch bei mehr als 120 „beats per minute“ entrückt durch den Wüstensand träumen lässt. Andere zappeln, springen und tanzen unentwegt, als gäbe es kein Morgen mehr. 30 Stunden lang dauert der Event und manche halten durch, ohne Schlaf oder große Unterbrechungen. Aufgetankt wird an Erfrischungsbars rings um das Festivalgelände oder bei Bier, Wodka und traditionellem Sandbrot im VIP-Zelt des Veranstalters, eines hippen Hoteliers aus Nefta, der das „Les Dunes Electroniques“ Spektakel gemeinsam mit dem französischen Veranstalter Panda Events bereits zum dritten Mal in die Wüste bringt.
Sand, Sand, Sand…
Zum Auftakt kündigt sich ein leichter Wüstensturm an. Der Wind bläst den Tanzbegeisterten entgegen, wirbelt unentwegt besonders feine, hell rot schimmernde Sahara-Sandkörner durch das Festivalgelände. Sand, der schon nach kurzer Zeit wie ein ganz feiner, kaum sichtbarer Film die Gesichter der Gäste bedeckt, der die Zähne zum Knirschen bringt, in jede Pore dringt, jede Falte erobert und sich dauerhaft einnistet in den Kleidungsstücken der tanzwütigen Gäste. Wer die Möglichkeit hat, anschließend in einem der Hotels in Nefta oder der nächstgrößeren Stadt Tozeur zu duschen, braucht eine gefühlte Ewigkeit, um auch das letzte Standkorn vom Körper zu spülen. Viele Gäste wickeln sich deshalb einen traditionellen Chech um den Kopf, einen Turban-ähnlichen Stoff, mit dem sich in Tunesien die Bewohner der Wüstenregionen vor Sand und Hitze schützen.
Einen schwarzen Chech trägt auch Emna Trabelsi alias „DJ Shida“ während Ihres Gigs auf der Bühne. Die junge Tunesierin mit den dicken Kopfhörern darf auf einer der zwei Hauptbühnen an ihren Turntables das Festival eröffnen. Für sie sei das eine besonders große Ehre und ein „unglaubliches Erlebnis“. Später würden noch die großen Stars, wie Luciano, Astrid, Ben & Lola, Adam Port, Konstantin Sibold, Audiofly, Nicolas Lutz und viele andere auflegen.
Die DJ Adademy for Girls
Jetzt aber steht sie erstmal hier oben auf der Bühne, heizt zwei Stunden lang den Partyhungrigen ein, freut sich über die hopsende Menge zu ihren Füssen, darunter auch viele junge Frauen, die sich aus Tunis und anderen Städten des Nordens auf den Weg in die Wüste des Südens gemacht haben. Sie wollen nicht nur Spaß haben. Sie möchten vor allem tun und lassen, was sie wollen. Selbst im Norden Tunesiens, auch in der modernen und vielerorts westlich geprägten Hauptstadt Tunis mit hippen Bars, Clubs und In-Locations, ist das noch keine Selbstverständlichkeit. Emanzipierte, moderne Frauen mit eigenen Wünschen und Lebensplänen, die nicht nur gut aussehen und sich schick anzuziehen wissen, als kämen sie direkt von den Pariser Champs-Élysées, sondern ihre eigenen Lebensvorstellungen auch wirklich durchsetzen wollen, sind manchen Männern immer noch unheimlich.
„DJ Shida“ hat sich durchgesetzt. Die 25jährige ist seit einem Jahr Mitglied in der tunesischen „DJ Academy for Girls“ und spielt Afro-House, Afro-Tech und eine Mischung aus Afro-Tribal-Music, Techno und House. Ihr sei es wichtig, als Tunesierin ihre afrikanischen Wurzeln nicht zu verlieren und diese auch in ihrer Musik zu wahren.
Leicht haben es weibliche DJs in Tunesien nicht. Vor allem, weil die tunesische Gesellschaft der Meinung sei, daß der Beruf des DJs „nur etwas für Männer und nichts für Frauen sei“, erklärt sie. Ihre Eltern waren zunächst auch nicht begeistert, vor allem ihr Vater kann sich mit dem Berufswunsch seiner Tochter nicht anfreunden. „Ich mache es aber, weil ich es liebe!“, sagt sie nach ihrem Auftritt selbstbewußt. Inzwischen hatte Sie auf Einladung von UNICEF einen Auftritt in Jordanien und konnte sich mit dem berühmten DJ und Global Music Moderator Darek Mazzone vom Radiosender KEXP aus Seattle, USA austauschen, um über eine Kooperation der „DJ Academy for Girls“ mit Partnern aus der Musikbranche zu sprechen.
Olfa Arfaoui – Gründerin der DJ Academy for Girls
Anfangs sei es garnicht einfach gewesen, eine „DJ Academy for Girls“ ins Leben zu rufen, erklärt die Gründerin der Akademie, Olfa Arfaoui. Die smarte Power-Frau und feministische Unternehmerin aus Bizerte im Norden Tunesiens engagiert sich seit zehn Jahren hauptberuflich für die Chancengleichheit von Frauen in ihrem Land, speziell in Wirtschaft und Beruf, aber auch in der Gesellschaft allgemein. Sie ist Beraterin und Projektleiterin des EconoWin Projekts der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Tunesien, Country Managerin des WEF „Women Economic Forum“ und Beraterin am „George W. Bush Presidential Center“.
In ihrem Co-Working Art-Studio „La Fabrique“ im Zentrum von Tunis gibt sie zudem jungen Künstlerinnen Raum und Gelegenheit, sich in der tunesischen Kunst-Szene zu präsentieren, organisiert neben Workshops auch Literatur-, Tanz- und Musik-Veranstaltungen und möchte die „in den Frauen schlummernden Energien und Kräfte in die elektronische Musik einbringen“.
Nachdem sie selbst an einem von der Berliner DJane Ipek organisierten DJ-Workshop teilgenommen hatte, war sie von der Leidenschaft junger Tunesierinnen begeistert, die DJ werden wollten. Eine Möglichkeit, das Handwerk professionell zu erlernen, gab es in Tunesien jedoch nicht. So entstand die Idee der „DJ Academy for Girls“. Schützenhilfe erhielt Olfa von der dänischen Non-Profit-Organsition und Booking-Agentur „Future Female Sounds“, deren Chefin Tia Korpe selbst seit Jahren professionell als DJ arbeitet und sich zum Ziel gesetzt hat, Mädchen durch Musik zu stärken. Ausgebildet werden die Nachwuchsstars von den DJs Rym Charfi a.k.a. Noy Ära und Astrid, die ebenfalls beim „Les Dunes Electroniques“ auftreten. Gelehrt werden Equipment-Grundlagen, Mischtechnik, der Umgang mit Sound, Eigenwerbung, Branding, Kultur-Management und die Zusammenarbeit mit Bookingagenturen. Und schließlich: „Praxis, Praxis, Praxis.“
Interview mit Olfa Arfaoui
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Ein MENA-Label der DJ Academy for Girls
Inzwischen hat Olfa Arfaoui 30 weibliche Nachwuchs-DJs in ihrer Akademie aufgenommen und bastelt an einem Netzwerk von DJanes, Bookingagenturen, Plattenfirmen und Entscheidungsträgern aus der Musik-Industrie. Dieses Netzwerk soll sich nicht auf Tunesien beschränken, sondern über die MENA-Region (Middle East & North Africa) ausgedehnt werden. Im Fokus der Expansion stehe zunächst Marokko, danach sollen Ägypten, Jordanien, Libanon und schließlich alle Länder der Region folgen. Und schließlich, so schwärmt Olfa, träume sie von einem „MENA-Label für weibliche DJs der Region“.
„Widerstand für das Projekt gab es zunächst nicht nur in der tunesischen Gesellschaft allgemein, sondern auch von den männlichen Kollegen“, erinnert sie sich. Die etablierten DJs nahmen die ungewohnt selbstbewußten und starken Frauen zunächst nur als Konkurrenz wahr, verstehen sie inzwischen aber als Bereicherung und als ein interessantes Aushängeschild für die tunesische DJ-Szene.
„DJ Shida“ ist eines dieser Power-Aushängeschilder. Nach ihrem Gig steht sie vor der Bühne und freut sich, unter den Tanzwütigen in der Wüste auch viele junge, musikbegeisterte tunesische Frauen zu sehen, die ebenso selbstbewußt sind, wie sie. Junge Frauen, die zu der basslastigen Mischung aus Afro-Pop und Deep House ihrer tunesischen DJ Academy-Kollegin „DJ Alpha“ tanzen und feiern, trinken, rauchen und die Fäuste gen Himmel recken. Es wird noch eine lange Tanznacht, hier in der Wüste, am Rande der tunesischen Sahara.
La Fabrique in Tunis
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Weiterführende Links:
>Olfa Arfaoui: A Step Forward for Gender Equality in Tunisia
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