Von Bündnerfleisch und Klimawandel: Ein Besuch bei Jörg Brügger in Parpan
Jörg Brügger aus Parpan in Graubünden ackert und rackert den ganzen Tag. Bündnerfleisch ist seine Leidenschaft und die Herstellung ein knüppelharter Job. Von früh morgens bis spät abends kümmert er sich um das Trocknen von Fleisch. Auf vier Etagen hängen in seinem Geburtshaus bei Lenzerheide tausende Stücke vom Rind, Wild und Schwein an Balken und Decken. Es riecht nach Fleisch, Wurst und Schinken. Nach Bauern-, Hirsch- und Angus-Salzis, Gamsschinken, Bündner Rohschinkli, Salametti, Speck und Bündnerfleisch. Ein Paradies für Gourmets.
Bündnerfleisch aus Parpan: Ein Paradies für Gourmets
Bündner Trockenfleisch und Rohschinken sind sein Geschäft. Handgetrocknetes, wohlgemerkt! “Meine Klimaanlage ist die Natur”, lacht Fleischtrockner Brügger. “Ich schaue nach dem Wetter, öffne und schließe die Fensterläden und wenn ich Glück habe, dann wird es gutes Trockenfleisch geben”. Leider macht das Wetter dem Bündner Fleischveredler zunehmend einen Strich durch die Rechnung. Der Klimawandel ist sein Problem.
Als Jörg Brüggers Urgroßvater Engelhard, der als Erfinder der damals noch nicht Bündnerfleisch genannten Delikatesse gilt, hier oben in 1.500 Metern Höhe mit dem Fleischtrocknen begann, gab es noch keinen Klimawandel. Ende des 19. Jahrhunderts fing der Urgroßvater mit dem an, was die Bergbauern in Graubünden schon seit Jahrhunderten im Winter gemacht hatten: Schlachtfleisch zu trocknen. “Dörren” nannte man das damals. Was Engelhard Brügger anders machte: Er “dörrte” nicht Schweinefleisch im Rauch, sondern trocknete Fleisch vom Rind unterm Dach in der Luft. Ein Experiment: “50 Kilo Kuhfleisch kaufte mein Urgroßvater damals, zerlegte es und hing es unters Dach”, erzählt Jörg Brügger. “Ein hohes Risiko, denn wer wußte schon, was daraus wird.”
Diese Geschichte wurde auch in der Sindelfinger Zeitung abgedruckt:
Nun, es wurde etwas daraus: Nach ein paar Monaten des Trocknens und dem Entzug von Flüssigkeit war das Gewicht des ursprünglich eingekauften Fleisches auf die Hälfte geschrumpft. Das, was übrig blieb – eingebunden in Tücher und deshalb zunächst “Bindenfleisch” genannt – war so köstlich, daß nicht nur die Bauern der Umgebung fortan “den Brüggers” ihr Fleisch zum Trocknen in Auftrag gaben, sondern auch “Metzger Schmid” aus Chur – der für das Bündnerfleisch aus dem Hause Brügger sogar mit einem Preis geehrt wurde. Für “Metzger Schmid” arbeitete später auch Jörg Brüggers Großvater. Dann machten die Brüggers daraus eine eigene Marke und die Bündnerfleisch-Tradition wurde erst an seinen Vater und schließlich an ihn selbst weitergereicht.
Seit 25 Jahren leitet Jörg Brügger inzwischen mit seiner Ehefrau die Fleischtrocknerei in Parpan. Als junger Mann wollte er zunächst Metzger werden und machte deshalb eine Fleischer-Lehre in St. Gallen. Doch schon bald reizte ihn die Arbeit des Fleischtrocknens doch mehr, als das “Wursten”. Neun Jahre lang habe er dann bei seinem Vater das Handwerk des Fleischveredelns gelernt, berichtet er und fügt hinzu: “Dazulernen tue ich auch heute noch”.
Bündnerfleisch-Herstellung: Ein knüppelharter Job
Erster Schritt der Trocken-Prozedur: Jörg Brügger zeigt auf einen großen weißen Kunststoffbottich. In ihr liegen Fleischstücke unterschiedlicher Größe und Herkunft, die er zuvor mit Salz und Gewürzen eingerieben hat. Den Stücken von Rind, Schwein und Wild hat er noch Plastiknetze übergezogen und sie dann in den Bottich gelegt, wo das Salz der kostbaren Ware erstmals Flüssigkeit entzieht – eine Voraussetzung, um das Fleisch haltbar zu machen, erklärt er. Brügger bevorzugt übrigens Kuhfleisch, weil es “mehr Aroma hat und weniger Flüssigkeit, als Kalb oder Rind. Und je älter die Kuh, desto mehr Geschmack”. Die Flüssigkeit, die sich in der Wannen sammelt, zapft Brügger mehrmals ab und gießt dann wieder Salzlake über das Fleisch. Und wieder entzieht das Salz dem Fleisch die Flüssigkeit. Je nach Sorte und Größe der Stücke geht das acht bis 25 Tage lang so. Dann werden die Stücke unter fließendem Wasser mit Bürsten gereinigt.
Zweiter Schritt: Das Fleisch kommt “zum ersten Antrocknen” auf den Balkon: “Dort hängen wir die Stücke ein paar Tage auf. Wie lang? Je nach Wetter”, erklärt Brügger weiter. Ist es zu kalt, hängen die Stücke nur ein paar Stunden. Sonst zwei bis vier Tage. “Zuviel Sonne ist schlecht, Frost ist auch nicht gut. Es darf sich keine Rinde am Fleisch bilden, die würde das Innere der Fleischstücke von der Luft abschneiden.”
Dritter Schritt: Das Fleisch wird im Haus unter die Decken und an unzählige Balken und Haken gehängt – und durch die ständige Zufuhrt von Luft weiter getrocknet. Fenster werden auf und zu gemacht, die Raumtemperatur und Luftfeuchte so auf ganz natürliche Weise reguliert. Echtes Bündnerfleisch – so die gesetzliche Vorschrift – muß zum Verkauf nicht nur eine tiefrote Farbe aufweisen, sondern auch eine rechteckige Form haben. Deshalb kommen die Fleischstücke auch immer mal wieder in eine Schraubstock-Presse, um sie “in Form zu bringen”.
Jörg Brügger hat nicht nur ein Gespür fürs richtige Klima, er kann auch die Konsistenz des Fleisches spüren – oder besser “ertasten”. Vorsichtig drückt er das Fleisch zwischen den Fingern, riecht daran, wiegt die Stücke in der Hand – und hängt das Fleisch dann doch an eine andere Stelle im Raum. Jedes einzelne Stück Fleisch, das auf vier Etagen in Brüggers Geburtshaus in Parpan von den Decken hängt, nimmt der Fleischtrockner “etwa 70 mal in die Hand”. 45.000 Kilogramm Trockenfleisch stellt Brügger auf diese Weise jedes Jahr her – das sind gut 10.000 Stück Fleisch.
“Wenn man es auf natürliche Weise macht, ohne industrielle Massenproduktion und Hightech-Klimaanlagen”, erklärt er, ginge “Fleischtrocknen nur in der Winterzeit”. Schon sein Großvater hätte ihm erklärt, Fleisch könne man nur während der “R-Monate” trocknen, also in der Zeit von September bis April. Der Klimawandel raube ihm aber einen ganz Monat Produktion: “Man kann den Klimawandel nicht leugnen. Wir spüren ihn. Der April ist es heutzutage in der Regel viel zu warm, diesen Monat können wir inzwischen vergessen.”
45 Tonnen Trockenfleisch, produziert während sieben Monaten. Eine Delikatesse aus Graubünden. Hergestellt von Jörg Brügger, mithilfe nur eines festangestellten Mitarbeiters und der Natur: Dem Bach, dem klima-regulierenden Wald hinter seinem Haus und dem Wind, der durchs Tal zieht. Ein knüppelharter Job. Sieben Tage die Woche, bis zu 16 Stunden pro Tag. Das Resultat: Eine Delikatesse, die man mal probiert haben sollte.
Kontakt:
BRÜGGER.PARPAN
7076 Parpan, GR
Schweiz
Tel. 0041 (0)81 382 11 36
E-Mail info@bruegger-parpan.ch
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Peter